Unsere Kritik am Entwurf des neuen sächsischen Versammlungsgesetzes

Am 27.12.2023 wurde der Entwurf des Änderungsgesetzes des Sächsischen Versammlungsgesetzes als Drucksache 7/15266 in den Sächsischen Landtag eingebracht. Der Entwurf sieht umfangreiche Änderungen des bisher geltenden Sächsischen Versammlungsgesetzes vor und nimmt nun seinen Lauf durch die Ausschüsse und Beratungen im Landtag, bis er – in derzeitiger oder abgewandelter Form – planmäßig am 01.09.2024 in Kraft tritt und das alte SächsVersG ablöst.

Nachfolgend möchten wir erörtern, weswegen der Entwurf aus unserer Sicht eine Verhöhnung des Versammlungsrechts darstellt und uns der Titel „Sächsisches Versammlungsverhinderungsgesetz“ passender als der vorgesehene Titel „Gesetz über den Schutz der Versammlungsfreiheit im Freistaat Sachen“ scheint.

Warum soll das SächsVersG erneuert werden?

In ihrem Koalitionsvertrag für 2019 bis 2024 sehen CDU, Grüne und SPD vor, das SächsVersG zu ändern, „[…] um dem verbürgten Recht auf politische Teilhabe größtmögliche Wirksamkeit zu verleihen.“ (S. 112). Und das zu Recht: Das SächsVersG gehört zu den illiberaleren Versammlungsgesetzen in Deutschland. Dass der nun vorliegende Entwurf dem im Koalitionsvertrag proklamierten Ziel indes nicht gerecht wird, erstaunt wenig. Denn federführend war das Sächsische Innenministerium unter der Leitung von Armin Schuster. Der Entwurf wird diesem Ziel aber nicht nur nicht gerecht, sondern verfehlt es gänzlich und das mit Ansage.

Welche Kritikpunkte haben wir an der geplanten Änderung?

Zunächst sticht er hervor, dass der Entwurf nicht aus der Perspektive derjenigen, die ihre Versammlungsfreiheit wahrnehmen möchten, sondern aus der der Versammlungsbehörde und Polizei geschrieben ist. Das schlägt sich insbesondere in den Vorschriften zur Kooperation mit der Versammlungsbehörde (§ 3 des Entwurfs, im Folgenden mit SächsVersG-E abgekürzt), der möglichen Bestimmung der Versammlungsleitung durch die Versammlungsbehörde (§ 5 Abs. 4 SächsVersG-E) und den behördlichen Befugnissen gegenüber den Ordner*innen (§ 16 SächsVersG-E) sowie den jeweils damit verknüpften Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften (§§ 24 ff. SächsVersG-E) nieder. Damit wird durch den Entwurf das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit als Abwehrrecht gegen den Staat in ein Recht des Staates zur Verhinderung und Kontrolle von Versammlungen umgekehrt.

Außerdem hat der vage und interpretationsoffene Begriff der „öffentlichen Ordnung“ seinen Weg an entscheidende Stellen in dem Entwurf gefunden. Auch im aktuellen Versammlungsgesetz wird der Begriff in problematischer Weise verwendet. Die Überführung des Begriffs an entscheidende Stellen des SächsVersG-E verschlimmert die Situation noch. Der Begriff der „öffentlichen Ordnung“ stammt aus dem Polizeirecht und zeichnet sich durch seine Unbestimmtheit aus. Mit dem entsprechenden Willen lässt sich alles in ihn hereinlesen. Um es plastisch zu machen: Der Entwurf sieht vor, dass es Aufgabe der Versammlungsbehörde ist, Gefahren, die von den Versammlungsteilnehmer*innen auf die öffentliche Ordnung ausgehen, abzuwehren (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 SächsVersG-E). Ist eine Black-Block-Demo bereits dazu geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu sein? Inwiefern sind bestimmte Demosprüche bereits dazu geeignet, eine Gefahr für die öffentliche Ordnung zu sein? Diese und ähnliche Fragen sind unklar. Wie die Antworten auf sie ausfallen, liegt zunächst im Ermessen, also im Einschätzungsspielraum der Versammlungsbehörde.

Betroffen von dieser Einhegung des Versammlungsrechts werden insbesondere marginalisierte Personen sein, denen es aufgrund rassistischer Politik und Gesetze verwehrt ist, auf andere Weise als durch Versammlungen und die öffentliche Kundgabe ihrer Meinung am gesellschaftlichen Diskurs teilzunehmen.

Neben diesen maßgeblichen Punkten kritisieren wir im Einzelnen:

§ 4 SächsVersG-E regelt, wer als Veranstalter*in einer Versammlung gelten soll. Die Voraussetzungen, anhand derer sich bemisst, wer als Veranstalter*in zählt, sind dabei sehr unbestimmt. Es bleibt unklar, ob bereits öffentliche Aufrufe zu einer Versammlung genügen, um als Veranstalter*in zu zählen. Diese Unbestimmtheit des Veranstalter*innenbegriffs steht im Widerspruch zu von der Rechtsprechung entwickelten Maßstäben. Die Unbestimmheit und darausfolgende Rechtsunsicherheit ist insbesondere problematisch, da das SächsVersG-E in den §§ 24 f. Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften an die Veranstalter*inneneingenschaft anknüpft.

§ 5 Abs. 4 SächsVersG-E ermöglicht es der Versammlungsbehörde, selbst als Versammlungsleitung „einzuspringen“, wenn aus der Mitte der Versammlung keine Versammlungsleitung bestimmt ist. Diese Vorschrift stellt einen tiefen Einschnitt in das Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer*innen dar. Das Komitee für Grundrechte bezeichnet diesen Teil der Vorschrift als „[…] absurd und verfassungsrechtlich unhaltbar […]“ (S. 144). Dieser Einschätzung schließen wir uns an.

§ 10 SächsVersG-E normiert das Militanzverbot bei Versammlungen. Auch dieser Teil des Entwurfs greift in das Selbstbestimmungsrecht der Versammlungsteilnehmer*innen ein. Es ist ihre Angelegenheit zu entscheiden, wie eine Versammlung gestaltet werden soll. Insbesondere problematisch ist § 10 Abs. 1 SächsVersG-E. Demnach ist es verboten, durch ein einheitliches Erscheinungsbild „[…] in einer Art und Weise aufzutreten, die den Eindruck der Gewaltbereitschaft vermittelt […]“. In Kenntnis der Situation in Leipzig kann davon ausgegangen werden, dass Versammlungsbehörde und Polizei dieses unbestimmte Tatbestandsmerkmal maßlos zum Nachteil bestimmter Versammlungen ausdehnen und zum Anlass zur Eskalation von Versammlungen nutzen werden.

§ 14 SächsVersG-E sieht eine Reihe neuer Angaben vor, die bei der Anmeldung einer Versammlung zu machen sind. Dazu zählen z.B. der geplante Streckenverlauf einer Demonstration oder die verwendeten Kundgebungsmittel. Dadurch werden unnötige bürokratische Hürden errichtet. Außerdem stellt § 14 SächsVersG-E in Verbindung mit § 24 Abs. 3 SächsVersG-E ein enormes Risiko für Versammlungsanmelder*innen dar. Denn § 24 Abs. 3 SächsVersG-E sieht vor, dass Versammlungsanmelder*innen mit bis zu sechs Monaten Freiheitsstrafe bestraft werden können, wenn sie eine Veranstaltung „wesentlich anders“ als nach § 14 SächsVersG-E angemeldet durchführen. Es ist unklar, was unter „wesentlich anders“ zu verstehen ist.

§ 15 Abs. 3 SächsVersG-E setzt eine Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) um, in der festgestellt wurde, dass die Versammlungsfreiheit nicht nur an öffentlichen Orten, sondern unter bestimmten Voraussetzungen auch an privaten Orten (z.B. Einkaufscenter oder Flughäfen) gilt. Allerdings eröffnet § 15 Abs. 3 SächsVersG-E der Versammlungsbehörde die Abwägung der widerstreitenden Interessen der Versammlung und der Eigentümer*innen. In der Praxis ist kaum erwartbar, dass die Leipziger Versammlungsbehörde die Interessen entsprechend der Vorgaben des BVerfG abwägt. Das ist insbesondere unter dem Aspekt der zunehmenden Privatisierung öffentlicher Flächen problematisch.

§ 19 SächsVersG-E normiert das Vermummungsverbot. Gerade in Leipzig dient dieses Verbot der Polizei immer wieder dazu, um in Versammlungen einzugreifen und diese gezielt zu eskalieren. Der Entwurf lässt das berechtigte Interesse und die regelmäßige Notwendigkeit, in Anbetracht staatlicher oder anderweitiger Repression die eigene Identität bei öfffentlichen Versammlungen zu schützen, unberücksichtigt. Zu diesen Interessen zählen unter anderem die Sorge um den Aufenthaltstatus oder mögliche Konsequenzen in Beruf und Ausbildung.

Die §§ 24 ff. SächsVersG-E sehen eine Reihe neuer Straf- und Ordnungswidrigkeitenvorschriften vor. Die bloße Existenz dieser vereinfacht es der Versammlungsbehörde und Polizei, in Versammlungen einzugreifen. Außerdem erleichtert es ihnen die Kriminalisierung einzelner Teilnehmer*innen und ganzer Versammlungen. Sie setzen die Teilnehmer*innen einem hohen Risiko aus und können so einen Abschreckungseffekt haben.

SächsVersG als Wahlkampfinstrument – danach Repressionsinstrument?

Es erstaunt nicht, dass eine derartige Verschärfung des Versammlungsgesetzes kurz vor der Landtagswahl 2024 kommt. 2019 war es die Einrichtung der „Soko Linx“, dieses Jahr ist es das neue Versammlungsgesetz. Beide tragen die autoritäre Law-and-Order-Politik in sich, mit der die CDU aber auch SPD und Grüne zu punkten versuchen und nicht davor scheuen, am extrem rechten Rand unter Rassist*innen und Faschist*innen nach Wähler*innenstimmen zu fischen. Ob es als Wahlkampfinstrument taugt, wird sich in den nächsten Monaten zeigen.

Beunruhigend aber ist die Vorstellung, wenn es als Wahlkampfinstrument ausgedient hat und am 01.09.2024 in Kraft tritt. Die Wahlumfragewerte in Sachsen lassen Böses erahnen. Der durch die bürgerlichen Parteien gehende Rechtsruck wird immer deutlicher sichtbar und eine Regierungsbeteiligung der AfD ist nicht ausgeschlossen. In seiner jetzigen Form stellt das SächsVersG-E das ideale Repressionsinstrument für autoritäre Akteur*innen dar, um Versammlungen und ihre Teilnehmer*innen zu verfolgen und zu kriminialisieren.

Schlussbemerkung

Auch das aktuelle SächsVersG ist zu kritisieren und im besten Falle abzuschaffen. Das Ansinnen, es durch den hier kritisierten Entwurf zu ersetzen, kann allerdings nur mit mangelnder Weitsicht oder einem autoritären Gesellschaftsverständnis erklärt werden. Weltweit können wir die Bewegung hin zu immer autoritäreren Staaten beobachten und auch Sachsen scheint einen nächsten Schritt in diese Richtung machen zu wollen. Ein weiterer Schritt in die Richtung der Objektifizierung des Menschen als bloßes Werkzeug des Staates und der Einhegung von Zivilgesellschaft und linksradikalem Protest. Für uns ist klar: Wir müssen uns der Erneuerung des Versammlungsgesetzes entgegenstellen!