Waffenverbotszonen abschießen – Soziale Sicherheit stärken!

Abstract

Waffenverbotszonen (WVZ) stellen nur einen Teil des Phänomens der Produktion räumlicher Ideologien dar. Dabei wird von einem absoluten Raum auf Erkenntnisse über Personen, Gruppen und die Gesellschaft geschlossen. So werden in der Wissenschaft und im Alltagswissen Fehlurteile über die soziale Welt erzeugt. Diese können wiederum zu Evidenzen werden, also zu Ansichten und Aussagen, die an sich überzeugen und scheinbar keiner weiteren Erläuterung bedürfen. Wissenschaftler*innen warnen hiervor seit Jahren. Dennoch ist diese Ideologie bei Sicherheitsorganen und Teilen der Medien weit verbreitet.

 

Kriminelle Räume

Räume können nicht per se kriminell sein. Diejenigen, die von kriminellen Räumen sprechen, nehmen um zu diesen zu gelangen folgende vier Abstraktionen vor:

Handlung → Verbrechen: Es liegt eine Handlung vor. Ein Aspekt dieser Handlung wird abstrahiert, um sie unter Bezug auf das Strafrecht zu bewerten. Diese Handlung wird dann als „Verbrechen“ deklariert und hat Repression durch die Sicherheitsbehörden zur Folge.

Person → Kriminelle*r: Ein Aspekt einer Person (ein Handeln, das als Verbrechen eingestuft wird) wird abstrahiert, um die Person zu disziplinieren. Diese Person wird dann als „Kriminelle*r“ deklariert. Von nun an ist jede weitere Handlung verdächtig. Die Folge sind präventive Maßnahmen durch die Sicherheitsbehörden.

Gruppe → Kriminelle Gruppe: Ein Aspekt einer Gruppe (eine angeblich kriminelle Person) wird abstrahiert, um auf diese zu reagieren. Sie wird als „kriminelle Gruppe“ deklariert. Die Gruppenzugehörigkeit wird zu einem kriminogenen (zu Verbrechen führenden, sie hervorrufend
en) Faktor, der den Zugriff auf alle Gruppenmitglieder ermöglicht.

Raum → Krimineller Raum: Ein Aspekt eines Raumes (eine angeblich kriminelle Gruppe hält sich dort auf) wird abstrahiert, um auf seinen Inhalt zu reagieren. Dieser Raum wird dann als „krimineller Raum“ deklariert. Personen und Gruppen in diesem Raum sind allein wegen ihrer Anwesenheit verdächtig und müssen unter präventiven Maßnahmen leiden (Generalprävention).

 

Soweit ein kurzer theoretischer Überblick über diese Ideologie. Doch wie wirkt sich das in der Praxis aus?

Im weltweiten Kapitalismus konkurrieren Städte und Regionen miteinander. Die regionale Ebene gewinnt daher politisch und ökonomisch an Bedeutung. In der Folge mobilisieren reiche Unternehmer*innen alle Mittel, um Städte attraktiv zu machen. „Störer*innen“ – also Menschen, die nicht in diesen Hochglanz-Kapitalismus passen, weil sie „von der Norm abweichen“ sollen aus diesem Raum entfernt werden. Zu diesen Personengruppen zählen vor allem migrantisierte Personen, Wohnungslose und Drogenabhängige. Sie werden nicht als konkrete Menschen, sondern als abstrakte Erscheinungen betrachtet.

Ein schlichtes Stören ist jedoch noch kein Grund, um die Freizügigkeit dieser Menschen einzuschränken. Es wird also eine Legitimation benötigt, um diese Menschen zu vertreiben. Diese erlangt man, indem eben jene vier Abstraktionen vorgenommen werden und bestimmte Stadtteile ideologisch mit Kriminalität verbunden werden. Es wird also ein Bild etabliert, wer kriminell ist und wo sich das Kriminalitätsgeschehen abspielt. Es wird ein Zusammenhang von Raum und Kriminalität unterstellt. Darauf ist unter anderem das weit verbreitete Bild des „kriminellen Bahnhofsviertels“ zurückzuführen. Mit dieser Legitimation wurden in den 1990ern im Rahmen der Containment-Strategie der Stadt Leipzig angebliche Kriminelle durch präventive und repressive Maßnahmen aus der Innenstadt in den Osten auf die Eisenbahnstraße verdrängt – also genau dorthin, wo später die WVZ entstehen sollte.

 

Soziale Kontrolle

Im Folgenden soll kurz aufgezeigt werden, wie sich durch räumliche Ideologien die Formen der sozialen Kontrolle verändern.

Grundsätzlich haben Straftaten repressive Maßnahmen zur Folge. Nachdem eine Straftat begangen worden ist, wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet und es wird beispielsweise eine Hausdurchsuchung durchgeführt. Auch hier gibt es Kritikpunkte, um die es in diesem Beitrag aber nicht gehen soll.

Das Problem bei ideologisch erzeugten „kriminellen Räumen“ ist, dass auf deren Grundlagen präventive Maßnahmen gerechtfertigt werden. Obwohl keine Straftat begangen worden ist, führen die Sicherheitsorgane also Maßnahmen durch. Dies können anlasslose Personenkontrollen, ID-Feststellungen oder Platzverweise sein. All diese Maßnahmen beruhen auf einer Gefahrenprognose durch die Polizei. Wenn die Polizei den Eintritt einer Gefahr also für wahrscheinlich hält, darf sich bestimmte Maßnahmen durchführen. In der Regel ist dies in „kriminellen Räumen“ der Fall, die weder auf einer wissenschaftlichen noch einer demokratischen Grundlage beruhen, sondern Produkt einer Ideologie sind. Kriminalität wird dadurch immer abstrakter: Es geht nicht mehr um die konkrete Tat oder den konkreten Menschen, sondern um den abstrakten Raum. Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist dies höchst bedenklich.

Weitere Ausprägungen davon sind Betretungs- und Aufenthaltsverbote vor Demonstrationen oder Fußballspielen, die Kriminalisierung und Vertreibung von mittellosen Menschen und

Wohnungslosen, die Privatisierung von öffentlichem Raum und eine allumfassende Videoüberwachung.

 

Was ist eine Waffenverbotszone ?

Eine WVZ ist ein räumlich begrenzter Bereich, in dem das Führen von Waffen, Messern und (in Sachsen) sonstigen gefährlichen Gegenständen verboten ist. Darunter fallen auch Alltagsgegenstände wie Brotmesser, Werkzeug und Scheren. Diese dürfen nur mitgeführt werden, wenn sie nicht griffbereit sind (also mensch mehr als drei Handgriffe braucht, um an den Gegenstand zu gelangen, beispielsweise tief im Rucksack).

Wer unerlaubt Waffen besitzt oder mit sich führt, kann aber unabhängig von einer WVZ durch das Waffengesetz sanktioniert werden. Sinn und Zweck einer WVZ ist also das Verbot von Alltagsgegenständen und das symbolische Kennzeichnen eines öffentlichen Bereiches.

 

Rechtliche Grundlagen von Maßnahmen innerhalb von Waffenverbotszonen

Eine der wesentlichen Fragen, die sich stellt, ist die nach der rechtlichen Grundlage polizeilichen Handelns innerhalb von WVZ. Die Polizeigesetze werden von den Ländern und nicht vom Bund beschlossen, weshalb sie in den Länder verschieden ausgestaltet sind. Der folgende Abschnitt bezieht sich auf die Gesetzgebung in Sachsen.

 

1. Anlasslose Identitätsfeststellungen: § 15 Abs. 1 Nr. 7 SächsPVDG

Die Polizei darf die Identität einer Person feststellen, die sich an einem Ort aufhält, an dem durch eine Rechtsverordnung (gemäß § 42 WaffG) das Führen von Waffen im Sinne von § 1 Abs. 2 WaffG verboten bzw. beschränkt worden ist.

 

2. Durchsuchungen von Personen und ihren Sachen: keine eindeutigen Rechtsgrundlagen

Nach §§ 27Abs. 1 Nr. 2, 28Abs. 1 Nr. 3 iVm. 31Abs. 1 Nr. 1 SächsPVDG darf die Polizei Personen und deren Sachen durchsuchen, wenn eine durch Tatsachen gerechtfertigte Annahme besteht, dass die Person Sachen (oder Tiere) mit sich führt, die sicherzustellen sind, um eine gegenwärtige Gefahr abzuwenden. Das bedeutet, dass die Polizei in der WVZ eine Person und ihre Sachen durchsuchen darf. Voraussetzung dafür ist, dass es aus Sicht der Polizei durch Tatsachen erwiesen ist, dass dieser Mensch gegen die Rechtsverordnung für die WVZ verstößt oder verstoßen will, indem er eine verbotene Sache bei sich führt. Eine anlasslose Durchsuchung ist aber nicht möglich.

 

3. Durchsuchung einer Person wegen legitimer Identitätsfeststellung

Nach § 27 Abs. 2 SächsPVDG darf eine Person, deren Identität festgestellt werden soll, nach Waffen, Sprengmitteln und anderen gefährlichenWerkzeugen durchsucht werden. Allerdings nur, wenn es den Umständen nach zur Sicherung eines:einer Polizeibediensteten oder zum Schutz einer dritten Person gegen eine Gefahr für Leben und Gesundheit erforderlich erscheint. Anlasslose Durchsuchungen sind auch hiernach nicht möglich.

 

4. Rückgriff auf „gefährliche Orte“ als Eingriffsgrundlage
„Gefährliche Orte“ sind Orte, die von der Polizei in einem intransparenten Verfahren „dynamischen“ (d.h. innerhalb kurzer Zeit veränderbar) festgelegt und nicht veröffentlicht werden. Grundlage dafür ist die „kriminalistische Erfahrung“ der Polizist*innen. Nach welchen Parametern ein Ort als „gefährlich“ eingestuft wird, ist „Verschlusssache“ und liegt komplett im Ermessen der Polizei – einem nicht demokratisch legitimierten Apparat. Zusätzlich ist das Verfahren der Einstufung eines Ortes als „gefährlicher Ort“ auch nicht gerichtlich überprüfbar. Eigentlich sollten „gefährliche Orte“ kleine abgegrenzte Areale wie Kneipen sein, in denen ein hohes Kriminalitätsaufkommen herrscht. Hier ließe sich auch eine klare Verbindung zwischen einer Person, die sich dort aufhält, und dem Ort herstellen. (Nicht wie an der Eisenbahnstraße – eine Fläche von 70 Fußballfeldern, in der sich Personen auch zufällig aufhalten können)
Um auf „gefährliche Orte“ als Eingriffsgrundlage zurückgreifen zu können, müsste eine WVZ ein „gefährlicher Ort“ gemäß §§ 27 Abs. 1 Nr. 4, 28 Abs. 1 Nr. 4 .iV.m.
§ 15 Abs. 1 Nr. 2 SächsPVDG sein. Da aber, wie vorher aufgeführt, alternative Regelungen bezüglich Identitätsfeststellung und Durchsuchung von Personen speziell in WVZ existieren, erscheint es widersinnig analog auch noch die Regeln, die diesbezüglich für gefährliche Orte gelten, anzuwenden. Rechtsprechung zum Verhältnis dieser beiden rechtlichen Konstruktionen gibt es in Sachsen bisher nicht. Ob eine anlasslose Durchsuchung also überhaupt rechtens ist, bleibt unklar.
(Bevor im Januar 2020 das neue Sächsische Polizeigesetz in Kraft trat, existierte mit
§ 19 I 1 Nr. 2 SächsPolG die Möglichkeit zur Durchsuchung von Personen und mitgeführter Sachen unter Rückgriff auf „gefährliche Orte“.)

Um also beurteilen zu können, ob die Polizei in einer konkreten Situation darf, was sie zu dürfen vorgibt, braucht die betreffende Person juristische Vorkenntnisse. Dies schadet der Rechtssicherheit und dem Vertrauen in den Rechtsstaat.

 

Die Waffenverbotszone auf der Leipziger Eisenbahnstraße als Beispiel

Infolge einer eskalierten Prügelei (bei der trotz Polizeipräsenz 4 Schüsse fielen, die eine Person tödlich und zwei weitere Personen schwer verletzten) und dem darauf folgenden medialen Diskurs über ein unabdingbares härteres Vorgehen gegen Gangs, Waffen und Gewalt, wurde 2018 die WVZ auf der Leipziger Eisenbahnstraße feierlich eröffnet. Das nach außen suggerierte Ziel – Sicherheit stärken und Gewaltkriminalität senken – wurde von Anfang an von Anwohner*innen angezweifelt. Diese sahen in der WVZ ein neues Repressionsmittel, das nur aufgrund der ausufernden deutschlandweiten Diskussion über die Gefährlichkeit der Eisenbahnstraße als legitim und notwendig erschien. Denn erhöhte Polizeipräsenz in einem Bereich, in den viele migrantisierte und arme Personen verdrängt wurden, führt vor allem zu diskriminierenden und gewaltvollen Kontrollen – und damit zu einer erneuten Verdrängung dieser Menschen aus dem Raum.

An den konkreten Zahlen wird deutlich wie wenig sinnvoll die WVZ an der Eisenbahnstraße war: Nur in 5% der Kontrollen wurden inkriminierende Gegenstände gefunden, von denen wiederum nur ein Drittel als strafwürdig empfunden wurde. Hier muss zusätzlich noch beachtet werden, dass nur Schwerpunktmaßnahmen erfasst wurden. Normale Streifenkontrollen wurden nicht erfasst, außer wenn ein „Erfolg“ zu verzeichnen war, also ein inkriminierender Gegenstand gefunden wurde. Der gewünschte Effekt (Kriminalität senken) wurde also kaum erreicht. Das Gebiet fiel auch davor in Leipzig nicht in die Bereiche mit der höchsten Kriminalität. Die tatsächlichen Probleme – vor allem die fehlende soziale Sicherheit – wurden ignoriert und die Verantwortung für Sicherheit im Viertel komplett an die Polizei abgegeben. Ergebnis ist ein von racial- und social profiling geprägter Alltag und kein erhöhtes Sicherheitsgefühl bei den Anwohner*innen.

Das Nichtbeachten der Tatsache, dass es keinerlei sozialwissenschaftliche Grundlage für die Annahme gibt, dass WVZ das Sicherheitsgefühl stärken (das Gegenteil ist der Fall) lässt erkennen, dass es sich hier nicht um eine Maßnahme zum Schutz der Anwohner*innen handelt. Im Gebiet der WVZ leben im ostdeutschen Vergleich extrem junge, arme und migrantische Menschen. Grund dafür ist die Containment-Strategie der 1990er Jahre, als diese Personengruppen aus den Innenstädten vertrieben wurden, damit diese zu Orten des ungestörten Konsums werden konnten. Ergebnis war ein Ausschluss der Menschen aus der Mitte der Gesellschaft und aus dieser Exklusion folgend eine erhöhte Kriminalität. Diese eigentlich systemimmanenten Gründe für das gesteigerte Kriminalitätsaufkommen werden individualisiert und damit das Narrativ erzeugt, dass die Armut und der soziale Abstieg der betreffenden Personen allein auf individuelles Versagen und nicht auf materielle Ungleichheit zurückzuführen sei. Deshalb wird als scheinbar legitime Reaktion Bestrafung (beispielsweise in Form von WVZ und gefährlichen Orten) und nicht Unterstützung geboten. Die WVZ an der Leipziger Eisenbahnstraße ist deshalb als Mittel des Systemerhalts eines kapitalistischen Nationalstaates und nicht als Schutzmaßnahme für Anwohner*innen zu betrachten.

 

Fazit

Es wurde deutlich, dass ideologisch produzierte „kriminelle Räume“ ein riesiges Problem für den Rechtsstaat sind. Eine der wichtigsten Ausprägungen davon sind Waffenverbotszonen. Diese verhindern weder Straftaten noch Erhöhen sie das Sicherheitsgefühl der Anwohner*innen. Stattdessen werden soziale Probleme und Diskriminierungserfahren noch verstärkt. Es gilt daher: Waffenverbotszonen abschießen – Soziale Sicherheit stärken!

 

Weiterführende Literatur

Überwachen und Strafen

https://waffenverbotszonen.com

Bernd Belina – «Kriminelle Räume» – zur Produktion räumlicher Ideologien

Michel Foucault – Überwachen und Strafen

Michel Foucault – Die Strafgesellschaft

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