Prozessbericht zur Verhandlung über die Voraussetzungen zur Auswertung digitaler Datenträger durch das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) im Asylverfahren

Am 16.02.2023 wurde am Bundesverwaltungsgericht in Leipzig über die Sprungrevision bezüglich der Klage vor dem Verwaltungsgericht Berlin (VG Berlin, VG 9 K 135/20 A – Urteil vom 01. Juni 2021) entschieden. In dem Urteil vom Verwaltungsgericht Berlin wurde der Klägerin, die sich gegen die Bundesrepublik Deutschland im Wege ein Fortsetzungsfeststellungsklage wendete, recht gegeben, dass die Auswertung von Datenträgern durch das BAMF zur Identitätsfeststellung rechtswidrig war. Das bestätigte nun auch das Bundesverwaltungsgericht.

Konkret ging es in dem Fall darum, dass die Klägerin 2019 nach Deutschland eingereist ist und einen Asylantrag stellte, ohne einen gültigen Pass oder Passersatz vorlegen zu können. Gem. § 5 I Nr. 1a AufenthG muss aber für die Erteilung eines Aufenthaltstitels (zum Beispiel aufgrund von Flüchtlingseigenschaft/Asyl) die Identität der Person geklärt sein. Wenn kein gültiger Pass/Passersatz vorliegt, kann das mittels Indizien geschehen. Die Klägerin legte hierfür eine sogenannte Tazkira vor (Ausweis ohne Bild), sowie ihre Heiratsurkunde. Des Weiteren können solche Indizien auch mittels Einschätzung der sprachmittelnden Person (Dialekt oder ähnliches) in den Anhörungen im Asylverfahren oder durch die Anhörungen selbst (Fluchtroute) gesammelt werden. Das Land Berlin führt um die Staatsangehörigkeit zu klären regelmäßig eine Auswertung digitaler Datenträger durch bei Personen ohne gültigen Pass. Bei dieser Auswertung werden die Handys in Anwesenheit der betroffenen Person an einen Computer angeschlossen und die Daten abgerufen und gespeichert, die Auskunft geben darüber in welchen Länden telefoniert wurde, wohin telefoniert wurde und auf welcher Sprache. Die Auswertung geschieht mittels einer Software und die Rohdatensätze werden wieder gelöscht. Das Handy wird wieder an die betroffene Person zurückgegeben. Insgesamt wurde diese Auslese der Handydaten schon über 80.000 mal in Berlin durchgeführt seit 2017.

Das Verwaltungsgericht Berlin hat diese Praxis schon für rechtswidrig erklärt und das Bundesverwaltungsgericht wies die Revision der Bundesbehörde nach der mündlichen Verhandlung vom 16.02. zurück. Entschieden hat der 1. Senat, der für Fragen des Asyl- und Aufenthaltsrechts zuständig ist.

Diskutiert wurde ob 1. Das Herausverlangen des Handys, 2. Das Herausverlangen des Passwortes und 3. Die Auslese der Daten gegen materielles Recht verstoßen. Die Erforderliche Rechtsgrundlage für den Eingriff in das Persönlichkeitsrecht,  Art. 2 I i.V.m. Art. 1 I GG, der Betroffenen durch die Auslese von Datenträgern im Asylverfahren stellt § 15a I AsylG i.V.m. § 48 III 1 AufenthG dar. Diese Verlangen die Erforderlichkeit der Auslese. Das Gericht machte deutlich, dass bei der routinierten Anwendung der Auswertung von Datenträgern in Berlin keine Prüfung auf mildere Mittel im Einzelfall durchgeführt würde. Im konkreten Fall der Klägerin lagen starke Indizien, durch die vorgelegten Dokumente vor. Der vorsitzende Richter Keller äußerte, dass beim Lesen der Akte ihres Asylverfahrens auch keine Zweifel an der Identität der Klägerin aufkamen. Es hätten noch weitere mildere Mittel, wie die Einschätzung durch die sprachmittelnde Person oder dergleichen erfolgen können. Somit wäre die Verhältnismäßigkeit nicht gewahrt und von der Behörde nicht mal geprüft worden. Das verstößt gegen die ausdrückliche gesetzliche Regelung in § 15a I AsylG.

Die Beklagten der Berliner Behörden verteidigten sich damit, dass sie personelle Engpässe hätten, der Gesetzgeber ja schon die Verhältnismäßigkeit durch den Erlass der Rechtsgrundlage geprüft hätte und die Eingriffe ja möglichst klein gehalten werden. Durch die Löschung der Daten, und das drüber gucken einer*s Volljuristin*en. Das beeindruckte die Richter*innen des 1. Senats wenig. Die Argumentation aus der behördlichen Praxis schien für sie nicht von Bedeutung für die Frage der Rechtswidrigkeit der Vorgänge beim BAMF.

Die Anwält*innen der Klägerin brachten noch einmal die Punkte vor, die auch das Gericht schon zu den Voraussetzungen der Auswertung von Datenträgern gebracht hatte. Sie ergänzten das Gericht in Bezug auf die potenzielle Gefährdung sensiblerer Daten als Telefondaten (bspw. Bilder etc.) durch die Herausgabe der Datenträger. Außerdem verwiesen sie darauf, dass der Ergebnisreport der Auslesesoftware durchaus fehlerhaft sein kann, nicht überprüfbar ist, gerade weil der Rohdatensatz gelöscht wird und auch nur ein Indiz für die Staatsangehörigkeit darstellt, wie alle anderen Methoden auch. Die Richter*innen äußerten dazu ihre Zustimmung.

Die Anwältin brachte außerdem vor, dass diese pauschale Vorratsdatenspeicherung ohne die Verhältnismäßigkeitskontrolle der Behörde gegen EU-Recht verstoßen könnte, genauer die DS-GVO. Dies würde eine Unanwendbarkeit der nationalen Gesetze bedeuten. Sie verlangte die Vorlage an den EuGH. Eine Stellungnahme des EuGH hätte damit großen Einfluss auf das Vorgehen der Behörden im Asylverfahren. Das Gericht zeigte sich dem abgeneigt und legt dem Europäischen Gerichtshof die Frage der Anwendbarkeit nicht vor, mit der Begründung, dass man sich in einem Revisionsverfahren befinde.

Die Entscheidung bedeutet für die Berliner Behörden, dass sie deutlich besser prüfen müssen, ob tatsächlich alles milderen Mittel zur Ermittlung der Staatsangehörigkeit genutzt wurden. Ob sie in Zukunft nun wirklich von der Auslese der Datenträger gleich schon bei der Registrierung zur Stellung des Asylverfahrens absehen, ist abzuwarten.